#1

Gräber

in Friedhof 05.11.2011 19:54
von Ivana Petrova | 1.092 Beiträge

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#2

RE: Gräber

in Friedhof 06.01.2012 22:59
von Alex Frost (gelöscht)
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Langsam fuhr er mit seinem 67er Ford Mustang die kleine Straße neben dem Friedhof entlang, ehe er irgendwann willkürlich anhielt und den Motor noch einen Moment laufen ließ. Es musste mittlerweile Mittag sein, die Sonne stand tief, typisch für einen Wintertag. Seine Hände lagen ruhig auf dem Lenkrad, sein Blick gerade aus auf die Straße vor ihm. Er war schon seit einer Ewigkeit, genauer gesagt seit 19 Jahren, nicht mehr hier gewesen und was ihn ausgerechnet heute hier her führte, dass wusste er selbst nicht so genau. Er war eigentlich mehr ohne Ziel vom See aus aufgebrochen und ohne sich darüber bewusst zu sein, hatte er den Wagen hierher navigiert.
Wie in Zeitlupe drehte er seinen Kopf nun nach rechts und sah aus dem Beifahrerfenster auf den Friedhof. Hier und dort gingen ein paar Menschen um die Gräber herum. Angehörige, vermutlich.
Mit einem tiefen Seufzen wand er seinen Blick wieder auf das Lenkrad, zog die Handbremse an und stoppte den Motor. Seine Hand griff nach dem Schlüssel, um ihn abzuziehen, doch verharrte er noch einen Moment. Er zögerte nicht, weil er Angst hatte, er hatte niemals Angst! Doch verunsicherten ihn gerade all diese widersprüchlichen Gefühle. Das Gespräch, dass er noch vor gut einer halben Stunde mit Faye am See geführt hatte und all die Konsequenzen, die das nach sich ziehen würden, ging ihm noch immer durch den Kopf und er wusste nicht, wie er mit dem, was er erfahren hatte, umgehen sollte. Er wusste, was seine Pflicht war, was er unter normalen Umständen sofort und als erstes erledigt hätte. Doch hatte er seinen Boss bis jetzt nicht angerufen. Es stand außer Frage, dass er Alessandro von seinem Gespräch und den daraus neu gewonnen Informationen berichten würde ja sogar musste, doch gingen ihm auch die sich daraus ergebenen Konsequenzen durch den Kopf.
Schließlich zog er den Schlüssel ab, öffnete seine Tür und stieg aus. Sein Blick richtete sich wieder auf den Friedhof, während er einen kleinen Schritt zurück trat, um die Tür zuzuwerfen. Nach dem er seine Hände in die Taschen seiner Jacke geschoben hatte, ging er langsam um den Wagen, trat auf den Bürgersteig und machte sich auf den Weg zu dem Grab, mit dem alles angefangen hatte.
Es dauerte eine Weile, bis er sich durch all die Reihen vorgearbeitet hatte. Seit damals waren eine Menge neuer Gräber hinzugekommen, doch dann stand er vor dem Grab, dass er suchte, zog eine Hand aus der Tasche, nahm seine Sonnenbrille ab und ließ den Arm locker nach unten hängen.

» Jonathan Steel *19.01.1956 ✝06.05.1991 Husband, Father, Friend «

Damals war seine ganze Welt auseinander gebrochen und in seinem Inneren war etwas mit seinem Vater gestorben. Sein Tod hatte Alexis von heute auf morgen verändert und ihn auf den Weg geführt, der ihn zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war. Angefangen als rebellischer Teenager, der sich einen Scheiß um Vorschriften und Gesetze kümmerte, hin zum Anführer einer skrupellosen Straßengang bis hin zur quasi rechten Hand des Mafia-Bosses Alessandro Salvatore. Doch konnte er nicht sagen, dass er auch nur eines davon bereute! Er würde wieder genau den gleichen Weg gehen, wenn er noch einmal die Wahl hätte, denn er liebte sein Leben, auch wenn es von Gewalt und Schmerz durchzogen war. Aber ihm war auch klar, dass er heute ein Anderer wäre, wenn sein Vater eben noch leben würde.
Sein Blick lag ruhig auf dem marmornen Stein und er fühlte einen Stich in seinem Herzen. Nach außen hin wirkte er auf die meisten Menschen hart, unberechenbar und kalt. Das musste er auch sein und er war es auch. Doch jetzt, hier an diesem Ort, da fühlte er sich wieder wie der 8 jährige Junge, dem man mit 6 Kugeln das Wichtigste in seinem Leben genommen hatte. Damals, am Tag der Beerdigung hatte er nicht aufhören können zu weinen. Es war ein unablässiger Strom aus Tränen gewesen, der nicht versiegen wollte. Er hatte sich noch in den Schlaf geweint und am nächsten Morgen kamen keine Tränen mehr. Nie wieder hatte er seit diesem Tag geweint.
Er war nicht hier, um nach Antworten oder Vergebung zu suchen, aber das Gespräch mit Faye hatte ihn wieder an seine eigene, schmerzliche Vergangenheit denken lassen, die er so gut hütete, wie einen Schatz. Kaum jemand wusste etwas von seinem Verlust und die meiste Zeit schloss er diese Erinnerung tief in sich ein.
Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand und würde die Kälte ihm nicht allmählich die Beine hoch krabbeln, hätte er sicher noch länger hier gestanden. Schnell wischte er sich die Träne von der Wange, die es irgendwie geschafft hatte, sich ihren Weg ins freie zu erkämpfen und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Langsam trat er ein paar Schritte näher auf den Grabstein zu, streckte seine Hand aus und berührte leicht und nur für den Bruchteil einer Sekunde die glatte, kalte Oberfläche, ehe er sich ruckartig umwandte, die Hände wieder tief in seine Taschen vergraben und zurück zu seinem Auto ging.

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zuletzt bearbeitet 06.01.2012 22:59 | nach oben springen


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